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AutorenbildDr. Christian Julmi

Humble Leadership: Die Führungskraft als Dienerin

Als Gegenentwurf zu durchsetzungsfähigen Vorgesetzten wird Führungsstärke zunehmend an einer dienenden Haltung festgemacht. Der Beitrag erläutert den Grundgedanken dienender Führung, ordnet sie in die atmosphärische Führung ein und analysiert die drei Merkmale dienender Führung: Selbstwahrnehmung, Wertschätzung und Lernbereitschaft.


Die Führungskraft als Dienerin

Führungsstärke wird heute immer noch mehrheitlich mit Attributen wie Dominanz, Durchsetzungsfähigkeit, Stressresistenz oder innere Härte belegt. Diese prototypischen Vorstellungen effektiver Führung sind in unserem Denken so fest verankert, dass sie den Aufstieg bestimmter Führungspersonen befördern oder gar Aktienkurse beeinflussen können.

Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – formiert sich in Bezug auf die Vorstellungen guter Führung zunehmend eine Gegenbewegung, die Führungsstärke ganz anders versteht: Als demütiges, leises und nachdenkliches Entscheiden, das frei von narzisstischen oder egomanischen Einflüssen der Persönlichkeit ist. Diese Bewegung sieht Führungskräfte als Dienerinnen des Ganzen, also des Unternehmens wie der Mitarbeiter*innen. Diese Art der Führung wird als demütige Führung oder engl. „Humble Leadership“ bezeichnet (vgl. Oelsnitz 2021).


Dienende Führung ist attraktiv-subdominant

Im System der atmosphärischen Führung ist die dienende Führung eine attraktiv-subdominante Art der Führung. Eine Führung ist attraktiv, wenn zwischen Führungskraft und geführter Kraft eine spürbare Anziehungskraft existiert, z. B. bei gegenseitiger Sympathie oder gegenseitigem Respekt. Diese Anziehungskraft bezeichnen wir als Attraktion. Sie steht der Repulsion als spürbarer Abstoßung (z. B. durch Antipathie oder Geringschätzung) gegenüber. Die atmosphärische Führung geht davon aus, dass gemeinsame Perspektiven in der Interaktion nur entstehen, wenn die Interaktion attraktiv ist (man kommt ‚zusammen‘), während die Perspektiven bei repulsiver Interaktion auseinander gehen (man ‚entfernt‘ sich). Eine dienende Art der Führung funktioniert nur, wenn sie attraktiv, d. h. positiv gegenüber den Mitarbeiter*innen und der Idee des Dienens eingestellt ist.

Die atmosphärische Führung sieht dienende Führung zudem als subdominante Führungsform, die sich durch ein hohes Maß an Inklusion auszeichnet und als korporative Form der Führung verstanden wird. Allgemein entscheidet die Verteilung von Dominanz und Subdominanz über das Gewicht, mit der die eigene Perspektive in die Interaktion eingebracht wird. Im attraktiven Fall fungiert der dominante Part als Perspektivengeber, der subdominante dagegen als Perspektivennehmer. Subdominante Führungskräfte sind gut darin ist, die Perspektiven ihrer Mitarbeiter*innen zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzubringen und ihre Wünsche und Bedürfnisse aktiv in den Führungsprozess mit einzubeziehen. Subdominanz bedeutet hier also nichts Negatives, sondern steht für Empathie, Offenheit und Zuhören. Diese Eigenschaften sind für die dienende Führungskraft zentral.


Drei Merkmale dienender Führung

Grundsätzlich lässt sich dienende Führung an drei Merkmalen festmachen: Selbstwahrnehmung, Wertschätzung und Lernbereitschaft (vgl. Owens/Johnson/Mitchell 2013, S. 1518-1520).

Erstens weisen dienende Führungskräfte erkennbaren Willen zur Selbstwahrnehmung auf. Sie sind bestrebt, einen unverstellten Blick auf sich einzunehmen. Hierzu gehört die aufrichtige Bereitschaft, die Eigenwahrnehmung mit der Fremdwahrnehmung durch andere abzugleichen (Spiegelung durch andere). Atmosphärische Führung kann nur gelingen, wenn Führungskräfte ihre eigene atmosphärische Ausstrahlung adäquat einschätzen können. Dass Führungskräfte in den meisten Fällen anders auf Mitarbeiter wirken, als sie glauben, ist eine wesentliche Prämisse der atmosphärischen Führung. Hier gilt es, sich selbst als wesentlichen Einflussfaktor auf den Führungserfolg zu verstehen und daran zu arbeiten, dass dieser Einfluss positiv ist (vgl. Halfwassen 2020).

Zweitens zeigt sich dienende Führung in einer gezeigten Wertschätzung gegenüber den Beiträgen und Stärken der Mitarbeiter*innen. Entsprechend weisen dienende Führungskräfte Eigenschaften wie Empathie, Vertrauensfähigkeit und Ehrlichkeit auf. Sie sind bereit, ihre Macht zu teilen und sich auch von Untergebenen „führen“ zu lassen. Dieses zweite Merkmal der Wertschätzung, die sich in der Anerkennung des anderen zeigt, weist die dienende Führung explizit als attraktiv-subdominante Art der Führung aus.

Drittens setzt dienende Führung ein hohes Maß an Lernbereitschaft voraus, also die Bereitschaft, beständig an sich zu arbeiten. Hierzu bedarf es einer hohen Offenheit für das Feedback und die Impulse anderer sowie eine anhaltende Neugier gegenüber sozialen, gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen. Kurz: Dienende Führungskräfte geben sich mit dem Status quo nicht zufrieden und streben beständig nach Verbesserungen. Dieser Wille zur Selbstkultivierung ist auch eine wesentliche Säule der atmosphärischen Führung und essenziell für die Etablierung jeder ethischen Art der Führung.


Fazit

Dienende Führung ist mehr als nur eine innere Haltung. Studien zeigen, dass dienende Führung den Wissens- und damit den Perspektivenaustausch fördert, die Lernkurven von Führungskräften und Mitarbeiter*innen verbessert, die Teamkreativität steigert und das Arbeitsklima positiv beeinflusst (vgl. Oelsnitz 2021, S. 295).

Eine dienende Führungskraft agiert attraktiv-dominant, da sie die Perspektiven und Impulse der Mitarbeiter*innen ernst nimmt und sich in ihrem Handeln von diesen leiten lässt. Obwohl sie nicht dominant agiert und sich nicht durch ihre Durchsetzungsstärke profilieren muss, strahlt sie eine hohe Autorität aus. Sie wird von ihren Mitarbeiter*innen als empathisch, kompetent und integer wahrgenommen. Wer in der Erhöhung des anderen dagegen nur die eigene Herabsetzung sieht, ist nicht nur als dienende Führungskraft ungeeignet.


Literatur

Oelsnitz, Dietrich v. d.: Diener des Ganzen. Demütige Führung („Humble Leadership“), in: Forschung & Lehre 28 (4/2021), S. 294-295

Owens, Bradley P./Johnson, Michael D./Mitchell, Terence R.: Expressed humility in organizations. Implications for performance, teams, and leadership, in: Organization Science 24 (5/2013), S. 1517-1538

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